Einsamkeit, Zweisamkeit; Freiheit und Gebundenheit; Beziehung oder Abenteuer; Harmonie, Streit oder arrangierender Kompromiss; Sehnsucht, Schmerz, Verlust und siebter Himmel – Menschen haben ganz persönliche und doch oft auch ähnliche Erfahrungen mit der Liebe. Die holografisch-fotografische Spurensuche führt den Betrachter in die eigene Erinnerung – an Momente der Liebe und Sehnsucht, des Kummers, der Traurigkeit und glücklicher Zweisamkeit.
Seit die Menschheit existiert, ist sie auf der Suche nach Liebe. Die Liebe ist ein uraltes Gefühl. Jeder kennt es, fühlt sich erinnert, jeder empfindet Sehnsucht nach Geborgenheit, Sicherheit, Zärtlichkeit, Sexualität – danach, geliebt zu werden. Doch warum sind Liebe und Schmerz so eng miteinander verbunden? Eifersucht, Zurückweisung oder der Verlust eines geliebten Menschen fügen uns tiefen, manchmal unheilbaren Schmerz zu. Lohnen sich die Anstrengungen, immer an der Beziehung zu einem Menschen arbeiten zu müssen, um glücklich zu sein? Was ist, wenn es dann schief geht? Suchen wir vergeblich nach dem idealen Partner? Können wir überhaupt noch richtig lieben – oder gar geliebt werden? Die moderne Gesellschaft verwandelt die Liebe in einem gewissen Maße. Globalisierung und Flexibilität – aus eigener Entscheidung heraus oder auf Verlangen des Arbeitgebers – ziehen Trennungen nach sich. Die abgekühlte Realität der alltäglichen Beziehung oder eine lange Zeit des Alleinseins können tiefe Gefühle in Vergessenheit geraten lassen. Gesichter und Gedanken verblassen und liegen ruhend verborgen. Manchmal genügt ein Geräusch, ein Geruch, eine Stimme, die Ähnlichkeit einer Person, bestimmte Worte, ein Lied, um alte Gefühle wieder aufleben zu lassen und plötzlich erinnert man sich, fühlt wieder das Glück oder den Schmerz. Die Arbeit bildet den auslösenden Faktor: sie möchte „delicate memories“ – zarte Erinnerungen – wiederbeleben, tiefe Gefühle wecken und zum Assoziieren eigener Erfahrungen mit der Liebe verführen.
Vier großformatige Fotografien hängen scheinbar schwebend im Raum, angeordnet im Kreis, dem Symbol für Ewigkeit – ohne Anfang, ohne Ende. Auf jedem eine ruhende Frau: Unschärfe zeichnet eine verblasste Vergangenheit; es fehlt etwas, der geliebte Mensch, herausgenommen aus der Situation, nur noch vorhanden in ihrem Kopf. Jedem Bild ist ein Lasertransmissionshologramm im Stahlrahmen zugeordnet. Der Ausstellungsraum, ein abgedunkeltes Gewölbe – Mutterleib, Spiritualität, Kirche, Heiligtum und Minnesang – ist von rotem Laserlicht durchzogen – Rot, die Farbe der Liebe, Lust und Leidenschaft, der Lippen, Rosen und des Blutes. Es beleuchtet die Hologramme, erweckt die Abbildungen zum Leben. Eine tiefgehende Symbolik erschließt sich in den Motiven. Ein geteilter Apfel – Adam und Eva, Verführung und Sünde. Ein Schachspiel – schwarz-weiß, ich-du, im Patt: der nächste Zug gewinnt. Zwei Weingläser – Spiritualität und Sinnlichkeit, Zweisamkeit, Romantik. Zwei Zahnbürsten – gemeinsames Leben, zusammen schlafen gehen und aufstehen, sich küssen. Die Gegenstände drücken das alltägliche Miteinander aus. Sie sind statisch, doch in Bereitschaft, jeden Moment genutzt zu werden. Die tiefe Schärfe der Hologramme lässt die Objekte realistisch aussehen. Sie treten dreidimensional in den Vordergrund, scheinen im Rahmen zu schweben. Dennoch sind sie nur virtuell vorhanden, nicht greifbar. Hier wird die Spannung zwischen Medium und Inhalt besonders deutlich: Die holografischen Abbildungen täuschen eine Realität vor, wie auch die fehlende Person auf den Fotos nur als imaginäres Abbild der Wirklichkeit vorhanden ist. Hologramm und Fotografie verschmelzen durch Transparenz des holografischen Trägermaterials zu inhaltlicher und visueller Einheit. Sie bilden auf allen Ebenen materiellen und kontextuellen Kontrast: Zweisamkeit und Einsamkeit, unendliche Schärfentiefe gegen umfassende Unschärfe, immaterielle realistische Objekte gegenüber materiellen Fotoabzügen über Phantasie und Erinnerung, schwebende Leichtigkeit des Papiers versus stählerne Bodenfestigkeit der Lichterscheinung.
Zur Arbeit gehören noch zwei weitere Objekte: Zum einen „Einsicht“, eine umfangreiche Sammlung von Briefen zwischen zwei Plexiglasscheiben. Die zu einer Würfelform gestapelten Briefe sind jedoch als solche nur gut zu erkennen, solange das Objekt nicht von Laserlicht beleuchtet wird. Wird der Laser angeschaltet, wirkt der Kubus leer, denn Hologramme an Vorder- und Rückseite ermöglichen den Blick auf die bloßen Schrauben, die durch das jetzt scheinbar leere Objekt hindurchführen. Symbolisiert wird hier das Gefühl, von dem man in Besitz genommen wird, wenn man begreift, dass intensive Kommunikation – im Nachhinein betrachtet – manchmal ergebnislos bleibt. Das zweite Objekt bildet ein auf Fotografien basierendes Hologramm zweier Hände eines Paares – verschränkt, kämpfend, streichelnd, wegstoßend, beschützend. Mit dem Blickwinkel verändern sich die Handpositionen. Die Wechselhaftigkeit einer Beziehung (abhängig vom Betrachtungswinkel) und Hoffnung (Virtualität) werden hier thematisiert.
Durch die Abbildung einer Frau, die ihren Partner vermisst, fügen sich die Fotografien des Projekts delicate memories in den historischen Diskurs über die Liebe und die Abwesenheit des Geliebten ein. Roland Barthes hat in seinem Buch Fragmente einer Sprache der Liebe herausgearbeitet, dass in künstlerischen und kulturellen Werken oftmals die Frau die Verkörperung des Gefühls der Verlassenheit und der Sehnsucht einnimmt. Aber auch im traditionellen Rollenbild ist der Mann derjenige, der unterwegs und auf der „Jagd“ ist. Aber wie Barthes klarstellt, ist das Gefühl der Abwesenheit des Geliebten nicht auf die Frau beschränkt. Das Gefühl der Liebe und der damit ebenso verbundenen Schmerzen ist nicht auf die Empfindungsfähigkeit eines Geschlechts festgelegt. Liebe ist universell und findet ihren Platz in persönlichen Erinnerungen und im kollektiven Gedächtnis.
Die intermediale Anordnung delicate memories setzt das Gefühl der Abwesenheit in verschiedener Weise frei und zeigt gleichzeitig die Plätze auf, an denen es sich verortet. Erst durch das Zusammenspiel der zwei benutzten Medien Fotografie und Holografie und durch deren Materialität – den Gemeinsamkeiten und Unterschieden der beiden Medien – entsteht die Botschaft, die gleichzeitig im Raum verkörpert wird: Liebe ist in dieser Anordnung weniger ein ungreifbares Gefühl, als vielmehr ein kulturell geprägter Code, ein Kommunikationsmedium. Mindestens zwei Seiten sind am Kommunikationsprozess „Liebe“ beteiligt, dargestellt im Kunstwerk durch die zwei Medien. Liebe ist ein Code, nach dem Gefühle ausgedrückt, gebildet, simuliert, unterstellt oder auch geleugnet werden können. So fasst es Niklas Luhmann in seiner systemtheoretischen Abhandlung zur „Liebe als Passion“. Schon seit dem 17. Jahrhundert wird Liebe nicht mehr nur als Passion verstanden. Liebe ist – gesellschaftlich völlig unbewusst – auch immer schon ein Verhaltensmodell. Ein Modell, das uns bekannt ist, bevor wir der Liebe überhaupt in Person begegnen. Etwas Kollektives, das alle in einem Kulturkreis teilen. Aus dem Code heraus erwächst persönliches und öffentliches Verhalten.
Erinnerungsbilder will das Projekt delicate memories durch die Präsentation von kulturell geprägten Gegenständen erzeugen. Die Hologramme zeigen einen zerteilten, angebissenen Apfel, zwei Zahnbürsten im Becher, zwei Weingläser, ein Schachspiel. Als dreidimensional optisch anwesende Objekterscheinungen sind sie zwar da, aber doch unfassbar. In Verschmelzung mit den Fotografien sind sie auch Zeichen für die Flüchtigkeit und Instabilität der Liebe, der Kommunikation in der Liebe und der Erinnerung daran. Gleichzeitig sind es Abbildungen von Objekten und Situationen, die in jeder abendländischen Beziehung ihre Widerspiegelung finden. Diese Abbildungen sind Symbole und kulturhistorische Anspielungen, welche die scheinbare Privatheit von Beziehungs- und Liebessituationen entlarven und deutlich machen, dass es sich stets auch um kollektive Erfahrungen handelt. Wenn persönliche Erinnerungen durch das Projekt delicate memories erzeugt werden, entsteht es nur durch ein Wechselspiel von privatem und kollektivem Gedächtnis. Was entsteht, ist Kommunikation – zwischen Betrachter und Kunstwerk, zwischen Fotografie und Holografie.
Noch einmal hervorgehoben wird der Aspekt der Abwesenheit und der Ferne im Objekt „Einsicht“. Es ist eine Art Materialisierung der Idee der vergeblichen Fernkommunikation in modernen Zeiten, durch moderne Medien. Eine Erkenntnis, die Franz Kafka schon um 1900 in zahlreichen Briefen an seine Geliebte Milena konstatierte.