»Wie der Wind sich dreht«

Installation | Konzept
ca. 100 Fahnenstangen und Windsäcke
ca. 70 m x 70 m
Weimar-Platz, Weimar (Chronologie)
2001

Das Gauforum in Weimar, das durch seine wechselvolle Geschichte angefüllt ist mit Bedeutung und Mahnung, soll mit dieser Arbeit eine Installation erhalten, die eine Brücke schlägt zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart: Was war es, was die Menschen im Nationalsozialismus ins Desaster stürzte und was ist es, was uns auch heute zum Verhängnis werden kann?

Die historische Bedeutung des ehemaligen Asbachtal-Areals (des heutigen Weimar-Platzes) war Ausgangspunkt für die Entwicklung der Installation „Wie der Wind sich dreht“. Windsäcke, welche auf Flugplätzen, Autobahnen oder in Wetterstationen als Windrichtungs- und Windstärkenanzeiger nüchtern ihren vorbestimmten Dienst tun, stehen auf dem ehemaligen Aufmarschplatz in Reih und Glied – wie damals die Fahnen, wie die 20.000 Menschen der Volksgemeinschaft, wie später die 350 Autos auf dem Parkplatz. Sie sind die „Masse“, die stramm und am definierten Platz stehend eine regelmäßige Ordnung bildet. Ohne Wind können sie nicht aus sich selbst heraus agieren, hängen sie ohne Seele. Kräftiger Wind versetzt sie in Aktion – je stärker der Wind, desto größer Volumen und Ausschlag. Der Wind bestimmt die Richtung.

Das menschliche Individuum und sein Charakter stehen immer im Bezug zur es umgebenden Welt und ihrer Kultur. Tugenden und Werte erschließen sich für den Menschen aus Kultur und Erziehung, aber auch aus eigenem Denken und eigener Vernunft. Mit der Installation gebe ich einen Impuls und verführe die Menschen zu fragen, zu interpretieren und vor allem, sich selbst immer wieder zu reflektieren. Wer bin ich, wie bin ich, warum bin ich so und wie will ich sein? Entscheide ich mich bewusst für mein Tun, kommen meine Meinungen aus mir selbst oder tanze ich anderen nach der Pfeife, drehe ich mich mit dem Wind?

Es ist ein Platz mit wechselhafter Vergangenheit. Heute betreten wir mit dem östlichen Gebäudeteil des Gauforums ein modernes Einkaufs- und Erlebniszentrum. Es ist ein seltsames Gefühl, im ehemaligen Bau der Nationalsozialisten seine täglichen Einkäufe zu erledigen. Doch hier soll es vielmehr um den mittlerweile von einer mehretagigen Tiefgarage untergrabenen Weimarplatz gehen, der nun eine gepflegte, ungenutzte Grünfläche ist, nachdem sie jahrzehntelang als Parkplatz diente. Die Geschichte des Platzes mit dem ihn einrahmenden Gebäudeensemble begann mit Adolf Hitler, der das Parkgelände im Asbachtal trocken legen und das Gauforum mit vier gigantischen Gebäudeteilen um den „Adolf-Hitler-Platz“ errichten ließ. Zur Grundsteinlegung wurde eine ritualisierte Massenveranstaltung organisiert, für die ein Wald aus unzähligen Fahnen die Maße des geplanten Aufmarschplatzes markierte. Die uniformierte Masse in ihrer statischen Aufstellung symbolisierte die zu erwartende Architektur.

Überlebende des Konzentrationslagers Buchenwald regten 1945/46 die Umgestaltung des mittlerweile nach Karl Marx umbenannten Platzes zur Gedenkstätte für Opfer des Faschismus an. Hierfür arbeitete Prof. Hermann Henselmann, der Direktor der im Aufbau befindlichen Hochschule für Baukunst und bildende Künste in Weimar, Pläne aus, die jedoch von der Sowjetischen Militär-Administration verändert wurden. Nach eingestürzter Stalin-Plastik und nicht realisiertem Karl-Marx-Monument (Weimarer Künstler sollten 1985 Konzepte einreichen) wurde der Platz schließlich zum Parkplatz und nun zur Grünfläche. Die umgebenden Gebäudeteile wurden seit damals bis heute durch den mehrfach wechselnden Staatsapparat genutzt.

Der Gesamteindruck des Platzes wird durch die Installation auf spielerische Art beeinflusst – die im Winde flatternden rot-weiß geringelten Stoffröhren stören die signifikant statische Architektur des Gauforums. Die Arbeit entstand explizit für diesen Ort und nimmt Bezug auf die schwere Vergangenheit des Platzes, bleibt selbst jedoch leicht und subtil in ihrer Erscheinung und Aussage und birgt Raum zur individuellen Interpretation.

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© Götz Greiner 2007